Die Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist angesichts ihres Ausmaßes und der eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zu diesem Schluss kam das Bundesverfassungsgericht und hat dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30.6.2016 eingeräumt, um eine Neuregelung zu treffen.
Entlastung für kleine und mittelständische Betriebe
In der Urteilsbegründung, die rund 300 Textziffern umfasst, weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass es im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers liegt, kleine und mittelständische Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zur Erhaltung der Arbeitsplätze von der Erbschaftsteuer weitgehend oder vollständig freizustellen. Für jedes Maß der Steuerverschonung benötigt der Gesetzgeber allerdings tragfähige Rechtfertigungsgründe.
Die Privilegierung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ist unverhältnismäßig, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.
Lohnsummenregelung
Die Lohnsummenregelung hält das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich für verfassungsgemäß, nicht aber die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten, da hier eine unverhältnismäßige Privilegierung vorliegt.
Hintergrund: Das Erbschaftsteuergesetz sieht für die Übertragung von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften, an denen der Übertragende zu mehr als 25 % beteiligt ist, Vergünstigungen in Form eines Verschonungsabschlags (85 % nach der Regelverschonung, 100 % nach dem Optionsmodell) und ggf. eines Abzugsbetrags vor. Die Steuerbefreiung ist von Behaltensfristen und der Einhaltung der Lohnsummenregel abhängig. Nach der Lohnsummenregel darf die im übertragenen Unternehmen gezahlte Lohnsumme innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb insgesamt 400 % der Ausgangslohnsumme nicht unterschreiten. Beim Optionsmodell gelten sieben Jahre und 700 %.
Verwaltungsvermögen
Die Regelung über das Verwaltungsvermögen (z.B. Wertpapiere) ist verfassungswidrig, weil sie den Erwerb von begünstigtem Vermögen selbst dann verschont, wenn es bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ohne dass hierfür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliegt. Das Ziel, steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zu unterbinden, kann die Regelung kaum erreichen. Sie dürfte die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen eher begünstigen.
Status quo und Ausblick
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, spätestens bis zum 30.6.2016 eine Neuregelung zu treffen. Gleichzeitig ordnet das Gericht die Fortgeltung der Normen bis zu einer Neuregelung an. Ein umfassender Vertrauensschutz wird damit aber nicht gewährt. In der Urteilsbegründung heißt es, „… dass die Anordnung der Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz gegen eine auf den Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils bezogene rückwirkende Neuregelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung gerade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltungen die Anerkennung versagt.“
Experten gehen derzeit davon aus, dass sich der Gesetzgeber bei den Neuregelungen in erster Linie an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientieren und keine grundlegende Reform erfolgen wird. Gleichwohl ist zu beachten, dass jedes Gesetzgebungsverfahren seine eigene Dynamik entwickeln kann.